2.

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Georg Heym: 2. (1899)

1
Hoch wo das Dunkel seine Schatten türmt
2
Durch Ewigkeiten fern vom Grund der Qual,
3
Hoch oben, wo im Dom der Regen stürmt,
4
Erscheint des Gottes Haupt, wie Morgen fahl.

5
Die weiten Kirchen füllt der Sphären Traum
6
Voll Schweigen, das wie leise Harfen klingt,
7
Da, wie der Mond vom großen Himmelsraum,
8
Des Gottes weißes Haupt heruntersinkt.

9
Tretet heran. Sein Mund ist süß wie Frucht,
10
Sein Blut ist, wie der Wein, langsam und schwer.
11
Auf seiner Lippen dunkelroter Bucht
12
Wiegt blaue Glut von fernem Sommermeer.

13
Tretet heran. Wie Flaum von Faltern zart,
14
Wie eines jungen Sternes goldne Nacht,
15
Zittert sein Mund, in seinem goldnen Bart,
16
Wie Chrysolith in einem tiefen Schacht.

17
Tretet heran. Wie einer Schlange Haut
18
So kühl ist er, weich wie ein Purpurkleid,
19
Wie Abendrot so sanft, das übergraut
20
Brennender Liebe wildes Herzeleid.

21
Der Gram gefallner Engel ruht, ein Traum,
22
Auf seiner Stirn, der Qualen weißem Thron,
23
Wie Schläfer traurig, denen floh zum Saum
24
Des blassen Morgens ihre Vision.

25
Tiefer als tausend leere Himmel tief
26
Ist seine Schwermut, wie die Hölle schön,
27
Wo in den roten Abgrund sich verlief
28
Ein bleicher Sonnenstrahl aus Mittagshöhn.

29
Sein Leid ist wie ein Leuchter in der Nacht,
30
Schauet die Flamme, die sein Haupt umloht,
31
Und doppelhörnig in der düstren Pracht
32
Aus seinem Lockenwald ins Dunkel droht.

33
Sein Leid ist wie ein Teppich, drauf die Schrift
34
Der Kabbalisten brennt durch Dunkelheit,
35
Ein Eiland, dem ‹vorbei› ein Segler schifft,
36
Wenn in den Bergen fern das Einhorn schreit.

37
Sein Leib trägt eines Schattenwaldes Duft,
38
Wo großer Sümpfe Trauervögel ziehn,
39
Ein König, der durch seiner Ahnen Gruft
40
Nachdenklich geht in weißem Hermelin.

41
Tretet heran, entflammt von seinem Gram.
42
Trinkt seinen Atem, der so kühl wie Eis,
43
Der über tausend Paradiese kam,
44
Voll Duft, der jeden Kummer weiß.

45
Er lächelt, seht. Und eurer Seele Bild
46
Wird wie ein Weiher, der im Schilfe schweigt,
47
Wo leis des Hirtengottes Flöte schwillt,
48
Der durch die Lorbeerschlucht heruntersteigt.

49
Schlaft ein. Die Nacht, die schwarz im Dome hängt,
50
Verlöscht die Lampen an dem Hochaltar.
51
Der große Adler seines Schweigens senkt
52
Auf eure Stirn sein dunkles Schwingenpaar.

53
Schlaft, schlaft. Des Gottes dunkler Mund, er streift
54
Euch herbstlich kühl, wie kalter Gräber Wind,
55
Darauf des falschen Kusses Blume reift,
56
Wie Mehltau giftig, gelb wie Hyazinth.

(Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024. Ursprünglich aus: Deutsches Textarchiv, CC BY-SA 4.0.)

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Georg Heym
(18871912)

* 30.10.1887 in Jelenia Góra, † 16.01.1912 in Gatow

männlich, geb. Heym

Unfalltod | Ertrinken

deutscher Schriftsteller, Vertreter des frühen Expressionismus

(Aus: Wikidata.org)