Die Jagd

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Ludwig Eichrodt: Die Jagd (1859)

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»wohlauf, ihr Herrn, ha wohlauf zur Jagd!
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Reißt weg die Becher vom Mund!
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Der Himmel wird grau, es windet, es tagt,
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Der Hahn kräht Morgenstund!«
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So ruft der Junker von Hesselhag,
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Das leere Glas in der Hand,
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Ins übernächtige Zechgelag,
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Und wirft das Glas an die Wand.

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Schlaftrunken fahren die Gäste auf,
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Sie schütteln das Lockengeflecht,
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Und rütteln im Hin- und Widerlauf
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Die Koller sich rasch zurecht.
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Die Kohle im Schlot, der Wein im Krug
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Ist todt, es schauert die Herrn,
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Sie waschen den Kopf, sie haben genug,
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Sie hören den Jagdruf gern.

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Und Rossegewieher dringt herauf
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Zum Saal und Fackelschein,
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Im Schloßhof lärmt der Hundehauf,
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Hell klingen die Hörner darein.
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Das hat den Junker aufgemannt,
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Er schreitet hinaus zum Saal,
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Sieh da, im fliegenden Nachtgewand,
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Sein blutjung Ehgemahl!

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Sie blicket ihn an: o lieber Herr,
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Geht heut nicht auf die Jagd!
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Verzeiht, daß ich den Weg Euch sperr,
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Ich träumte so bös zur Nacht;
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Die Rosse, die jetzt ihr wiehern hört,
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Sie fuhren uns beid hinaus,
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Zur Gruft nach Sankt Katharinenwörth,
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Heut, Herr, bleibt heut zu Haus!

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Und zürnet nicht, so träumt ich, Herr!
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»was?« donnert der rauhe Mann,
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»schon wieder das eckle Weibsgeplärr?
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Ein Schwachkopf hör es an!
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Geh weg!« Ach Herr! »Verstehst du deutsch?
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Geh weg!« Gott nein, ich bleib
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An deinem Halse – »die Hundepeitsch
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Für dich, zudringlich Weib!«

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Geschlagen ist die holde Frau,
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Da steht sie wie versteint,
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Ihr großes Auge himmelblau
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In Thränenglanz erscheint.
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Sie wankt dahin, sie weint sich aus,
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Läßt Alles gehen und stehn,
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Den ganzen Tag hat Niemand im Haus
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Die arme Herrin gesehn.

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Indessen sucht in Wald und Feld
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Der Junker Waidmannslust –
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»ei, Bettelmann, willst du kein Geld?
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Was wirfst dich in die Brust?«
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Ei, Edelmann, die schöne Au
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Verwüstet länger nicht!
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Seht zu, daß Eurer frommen Frau
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Daheim kein Leids geschicht!

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»halloh, was soll das, alter Schuft?«
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Roßfenchel hier für Euch!
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Geht, säubert von bösen Geistern die Luft
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In Eurem Haus sogleich!
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Sonst weh! »Sonst weh,« gedankenlos
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Nimmt hin der Junker das Kraut,
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Verschwunden ist über Fels und Moos,
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Der ihm es anvertraut.

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»ha, dummes Zeug!« es wischt den Traum
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Der Jäger vom Aug sich so,
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»ha Rappe, wohlauf, setz über den Baum!
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Ans Waidwerk auf und halloh!«
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Und fernher lärmt der Hundehauf,
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Hell klingen die Hörner darein,
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Der treffliche Junker ist wohlauf,
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Er saust über Stock und Stein.

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Schon sinkt herab zum Hochlandsee
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Der glühende Sonnenkern,
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Schon blinkt aus seiner einsamen Höh
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Der heitre Abendstern;
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Da zieht der lachende Edelmann
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Befriedigt auf sein Schloß –
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»wo ist die Hausfrau, sagt mir an,
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Die solcher Fang verdroß?«

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»wo ist die meine? Verdrießlich Weib!
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Zur Unzeit seh ich sie nur.
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Wo steckt sie jetzt? Weiß Gott ich treib
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Ihr aus die kranke Natur!
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Den besten Anfang hab ich gemacht,
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Wie schnell ist sie verstummt
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Heut früh mit ihrem Geträum zur Nacht,
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Das all ihr Wesen verdummt!«

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»ha, eingeschlossen? Verriegelt die Thür?
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Bring, Weib, mich nicht in Wuth!
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Mach auf! noch immer stumm? Dafür
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Ist dieser Fußtritt gut.«
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Die Thüre kracht aus Angel und Schloß
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Zu Boden, Knall und Fall,
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Herbeistürzt eiliger Dienertroß,
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Verblüfft vom Widerhall.

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O sieh, o sieh, da liegt sie todt,
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Des Junkers schön Gemahl!
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Auf ihrem Prunkbett, blutigroth,
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Durchbohrt vom gierigen Stahl!
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»wer that mir das?« schreit auf – ihm grauts –
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Der schwerbetroffne Mann;
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Da scholl eine Stimme scharfen Lauts:
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Das thatest Du, Tyrann!

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Die Stimm verklang, der Junker blickt
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Ins alte Bettlergesicht.
107
»kerl, hat die Hölle dich hergeschickt?
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Greift den verwegnen Wicht!
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Vergebens jedoch sehn seiner Spur
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Die bleichen Diener nach,
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Verschwunden schon, über Trepp und Flur,
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Ist der so seltsam sprach.«

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»laßt mich allein!« gebietet jetzt
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Der Herr – die Knechte fliehn –
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Der Herr in sich versunken setzt
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Aufs blutige Bett sich hin.
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»ermordet liegt mein schönes Weib!
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Und Ich hab' Das gethan!
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Ich schlug – erschlug ihren edeln Leib!
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Fluch, Fluch, weintrunkner Wahn!«

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»beschimpfung trägt kein treues Weib.
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Ein Bettler unterweist
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Den hohen Herrn – weiß Gott, ich treib
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Aus mir den bösen Geist!
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Ich schäme mich. Komm Fenchelkraut,
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Komm würze den schnöden Wein.
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Dies Weib hat Gott mir anvertraut,
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Dich der mein Freund allein!«

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Habt ihr die Rosse wiehern gehört
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Beim ersten Lerchenflug?
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Zur Gruft nach Sankt Katharinenwörth
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Fuhr still ein Leichenzug.
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Kein Sang und Klang. Im Zwielicht saß
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Ein Mann dort, betete leis.
135
Man rief ihn an – über Grab und Gras
136
Verschwunden war der Greis.

(Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024. Ursprünglich aus: Deutsches Textarchiv, CC BY-SA 4.0.)

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Ludwig Eichrodt
(18271892)

* 01.01.1827 in Durlach, † 01.01.1892 in Lahr/Schwarzwald

männlich, geb. Eichrodt

deutscher humoristischer Dichter

(Aus: Wikidata.org)