Auf der Treppe von Sanssouci

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Theodor Fontane: Auf der Treppe von Sanssouci (1858)

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Von Marly kommend und der Friedenskirche,
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Hin am Bassin (es plätscherte kein Springstrahl)
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Stieg ich treppan; die Sterne blinkten, blitzten,
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Und auf den Stufenaufbau der Terrasse
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Warf Baum und Strauchwerk seine dünnen Schatten,
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Durchsichtige, wie Schatten nur von Schatten.
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Rings tiefe Stille, selbst der Wache Schritt
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Blieb lautlos auf dem überreiften Boden,
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Und nur von rechts her, von der Stadt herüber,
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Erscholl das Glockenspiel.
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Nun schwieg auch das,
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Und als mein Auge, das auf kurze Weile
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Dem Ohr gefolgt war, wieder vorwärts blickte,
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Trat aus dem Buschwerk, und ich schrak zusammen,
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Er selbst, im Frackrock, hinter ihm das Windspiel
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(biche, wenn nicht alles täuschte), dazu Krückstock
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Und Hut und Stern. Bei Gott, es war der König.

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Was tun? Ich dacht' an Umkehr; doch sein Auge,
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Das
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So hielt ich denn und machte Front.
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»wie heißt Er?«
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Ich stotterte was hin.
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»und sein Metier?«
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»schriftsteller, Majestät. Ich mache Verse!«

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Der König lächelte: »Nun hör' Er, Herr,
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Ich will's Ihm glauben; keiner ist der Tor,
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Sich dieses Zeichens ohne Not zu rühmen,
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Dergleichen sagt nur, wer es sagen muß,
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Der Spott ist sicher, zweifelhaft das andre.
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Poète allemand! Ja, ja, Berlin wird Weltstadt.
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Nun aber sag' Er mir, ich les' da täglich
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(verzeih' Er, aber Federvieh und Borste
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Wohnt auf demselben Hof und hält Gemeinschaft),
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Ich les' da täglich jetzt in den Gazetten
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Von Menzelfest und siebzigstem Geburtstag,
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Ausstellung von Tableaux und von Peintüren
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Und ähnlichem. Ein großer Lärm. Eh bien, Herr,
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Was soll das? Kennt Er Menzel? Wer ist Menzel?«

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Und dabei flog ein Zug um seinen Mund,
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Als wiss' er selber Antwort auf die Frage.

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»zu Gnaden Majestät«, begann ich zögernd,
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»die Frag' ist schwer, das ist ein Doktorthema;
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Mein Wissen reicht bis Pierer nur und Brockhaus.
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Ja, wer ist Menzel? Menzel ist sehr vieles,
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Um nicht zu sagen alles; mind'stens ist er
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Die ganze Arche Noäh, Tier und Menschen:
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Putthühner, Gänse, Papagei'n und Enten,
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Schwerin und Seydlitz, Leopold von Dessau,
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Der alte Zieten, Ammen, Schlosserjungen,
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Kathol'sche Kirchen, italien'sche Plätze,
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Schuhschnallen, Bronzen, Walz- und Eisenwerke,
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Stadträte mit und ohne goldne Kette,
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Minister, mißgestimmt in Kaschmirhosen,
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Straußfedern, Hofball, Hummermayonnaise,
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Der Kaiser, Moltke, Gräfin Hacke, Bismarck –«
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»outrier' Er nicht.«
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»ich spreche nur die Wahrheit.
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Bescheidne Wahrheit nur. Er durchstudierte
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Die groß' und kleine Welt; was kreucht und fleucht,
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Er gibt es uns im Spiegelbilde wieder.
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Am liebsten aber (und mir schwoll der Kamm,
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Ich war im Gang, ›jetzt oder niemals‹ dacht' ich),
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Am liebsten aber gibt
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Die
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Im Rundsaal, vom Plafond her, strahlt der Lustre,
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Siebartig golden blinkt der Stühle Flechtwerk,
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Biche (›komm, mein Bichechen‹) streift die Tischtuchecke,
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Champagner perlt, und auf der Meißner Schale
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Liegt, schon zerpflückt, die Pontac-Apfelsine ...«

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»nun lass' Er nur. Ich weiß schon.«
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Und er lüpfte
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Den Hut und ging. Doch sieh, nur wenig Schritte,
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So hielt er wieder, wandte sich und winkte
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Mich an die Seit' ihm. »Hör Er, Herr; ein Wort noch:
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Er hat bestanden; so lala. Denn wiss' Er,
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Ich kenne Menzel wie mich selbst und wär' ihm
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Erkenntlich gern. Emaille-Uhr? Tabatière?
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Vielleicht ein Solitaire? Was macht ihm Spaß wohl?«

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»ach, Majestät, was soll ihm Freude machen?
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Er hat vollauf von Gütern dieser Erde,
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Hat Ansehn, Ehre, Titel, Ordenskreuze
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(pour le mérite, natürlich Friedensklasse),
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Hat Freunde, Mut und Glück, und was die Hauptsach',
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Hat seine
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»und fehlt ihm nichts?«
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»rein gar nichts.«
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»na, das ist brav. Comme philosophe! Das lob' ich
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Und will nicht stören. Aber
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Ich lüd' ihn ein (er mag die Zeit bestimmen,
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Ein Jahrer zehne will ich gern noch warten),
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Ich lüd' ihn ein nach Sanssouci; sie nennen's
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Dort find't er alte Freunde: Gen'ral Stille,
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Graf Rotenburg, die ganze Tafelrunde,
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Nur Herr von Voltaire fehlt seit Anno 70;
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Franzose, rapplig.
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Ich bin Sein gnäd'ger König. Serviteur!«

(Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024. Ursprünglich aus: Deutsches Textarchiv, CC BY-SA 4.0.)

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Theodor Fontane
(18191898)

* 30.12.1819 in Neuruppin, † 20.09.1898 in Berlin

männlich, geb. Fontane

deutscher Schriftsteller

(Aus: Wikidata.org)