Gott, der Weltschöpfer

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Johann Peter Uz: Gott, der Weltschöpfer (1758)

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Zu Gott, zu Gott flieg auf, hoch über alle Sphären!
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Jauchz ihm, weitschallender Gesang,
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Dem Ewigen! Er hieß das alte Nichts gebähren;
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Und sein allmächtig Wort war Zwang.
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Ihm, aller Wesen Quelle, werde
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Von allen Wesen Lob gebracht,
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Im Himmel und auf Erde
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Lob seiner weisen Macht!

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Von ihrer hohen Bahn, in jener lichten Ferne,
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Jauchzt ihm die Sonne freudig zu:
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Du machtest mich! du Gott! Und ringsumher die Sterne,
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Das Heer des Himmels; machtest du!
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Sein Lob, ihr schimmerreichen Schaaren,
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Tönt auf der dunkeln Erde nach,
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Von Wesen, die nicht waren,
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Und wurden, als er sprach:

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Als Neigung, wohlzuthun, und weitere Gebiethe,
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Noch mehr Geschöpfe zu erfreun,
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Dich, Weisester, bewog, zu Wundern deiner Güte,
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Der Schöpfer einer Welt zu seyn;
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Und aus dem Licht, in dem du wohnest,
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Zu Sterblichen hervor zu gehn,
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Vom Himmel, wo du thronest,
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Und Engel vor dir stehn.

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Du wolltest dich, als Gott, der öden Tiefe zeigen,
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Die, unermeßlich ausgestreckt,
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Zu deinen Füßen lag, mit fürchterlichem Schweigen
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Und schauervoller Nacht bedeckt.
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Du breitetest, Herr, deine Hände
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Weit aus durchs düstre leere Feld,
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Und zeichnetest das Ende
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Der ungebohrnen Welt.

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Du riefst ihr, und sie kam! O welche Wunder drangen
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Jetzt aus dem fruchtbarn Schoos des Nichts!
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Der Sonnen zahllos Heer, die ihrem Schöpfer sangen,
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Bestieg den güldnen Thron des Lichts:
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Und jede herrscht in ihrer Sphäre,
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Wo ihren flammenden Palast
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Du im crystallnen Meere,
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Du, Gott, gegründet hast.

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Ihr Himmel, öffnet euch, daß ich bewundernd preise,
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Wie Sonn an Sonne friedlich gränzt,
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Und, ewig unverwirrt im angewiesnen Kreise,
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Doch weit gebiethend, jede glänzt!
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Umsonst! die schwindelnden Gedanken,
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Verlohren in dem großen Blick,
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Entfliehen in die Schranken
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Der niedern Welt zurück.

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Auch sie, die Erde, war bejahrtem Nichts entrissen,
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Doch ungestalt und wüst, und wild,
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Ein roher Klumpen noch, in kalten Finsternissen
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Und schwarzen Fluthen eingehüllt.
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Gott schalt die Wasser, und sie flohen,
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Und wälzten sich im Donner fort,
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Vor ihres Herrschers Drohen,
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An den bestimmten Ort.

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Mit Brausen sammelten die furchtbarn Oceane
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Sich nach dem Winke seiner Hand;
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Es rauschten Flüsse hin, vertheilt nach weisem Plane:
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Die Erde wurde festes Land,
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Sie drohte nun mit Felsenstücken
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Und rauhen Bergen schon empor,
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Und stieg, mit breitem Rücken,
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Aus Wassern schwer hervor.

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Hoch über Sonnen stund ihr Schöpfer, dem sie leben,
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Und eine sah er an, und sprach:
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Der Erde hab ich dich zur Königinn gegeben;
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Zeuch sie durch sanfte Bande nach:
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Daß du, ihr leuchtend, sie erfreuest,
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Und sanfte Klarheit in der Nacht
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Dem stillen Monde leihest,
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Den ich für sie gemacht!

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Wie war dir, Erde, nun, da dich zum erstenmale
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Der Sonne glänzend Antlitz fand,
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Da deine Königinn, auf einem lichten Strahle,
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Den liebreizvollen Tag dir fand?
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Er kam! die güldnen Locken flogen,
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Gezähmt durch einen Bluhmenkranz:
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Die jungen Stunden zogen
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Ihn auf zum Frühlingstanz.

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Schon schmückte fettes Gras die Fluren, alles grünte:
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Vor seinem Schöpfer prangte schon
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Der Bluhmen bunt Geschlecht: die Rose nur verdiente
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Den holden Purpur und den Thron.
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Sie tranken vom beperlten Thaue;
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Sie hauchten in die laue Luft,
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Auf kräuterreicher Aue,
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Gesunden Balsamduft.

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Die Bäume kamen auch: die frische Pfirsich glühte,
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Schon reifend für des Menschen Mund.
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Ein schlanker Baum trat auf in silberweißer Blüthe,
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Der bald mit Gold befruchtet stund.
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Die düstern Eichenwälder hatten
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Sich über Höhen ausgestreckt,
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Mit angenehmen Schatten
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Schon Thäler überdeckt.

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Nun war die Erde schön, geschmückt auf allen Seiten,
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Werth einer Gottheit Sitz zu seyn.
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Noch war sie, o zu früh, zu früh verflogne Zeiten?
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Von kriegrischer Verwüstung rein,
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Die, auf den Wink verfluchter Ehre,
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Das Antlitz der Natur verderbt,
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Und Felder, selbst die Meere
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Mit Menschenblute färbt.

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Sie both, noch unentweiht, aus ihres Schöpfers Fülle,
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Die Schätze des Vergnügens dar:
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Doch allenthalben war noch eine todte Stille,
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Da nichts lebendiges noch war.
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Gott sprach, und die Gebirge bebten,
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Und Meer und Erde regten sich,
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Und neue Wesen lebten:
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Die todte Stille wich!

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Das Volk der kalten Fluth, die schuppenreichen Heere
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Bezogen ihr beschilftes Haus,
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Der Wallfisch breitete sich im beschäumten Meere,
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Gleich einer wüsten Insel, aus.
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Hier flog mit goldgefleckten Schwingen,
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Dort kroch, vom Auge kaum entdeckt,
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Schön, gleich den größten Dingen,
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Das künstliche Insekt.

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Hoch auf zur Sonne flog der Adler aus den Feldern:
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Zum stillsten Busch entwich und sang
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Die süsse Nachtigall: in schattenreichen Wäldern
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War braunes Wild, das brüllend sprang.
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Bestäubte Mähnen schüttelnd, wühlten
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Sich Löwen aus der Erde los;
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Und sanfte Lämmer spielten
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Um ihrer Mutter Schoos.

129
Du hast mit reichem Strom das Leben ausgegossen,
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Bis in die kleinste Felsenkluft!
131
O Schöpfer! Gütigster! Wie viele Stimmen flossen
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Dir dankend in der heitern Lust,
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Und drängten sich, in tausend Weisen,
134
Ein lieblich wild vermischtes Chor!
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Dich, ihren Herrn, zu preisen,
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Zu deinem Thron empor!

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Bald kam zur frohen Schaar, der Zeuge deiner Größe,
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Der Mensch, den du zuletzt gemacht,
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Damit ein Wesen wär, das mit Vernunft genöße,
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Was deine Huld hervorgebracht.
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Ihm, deinem Bilde, wurde Leben,
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Aus deinem lebensreichen Mund,
143
Und die Vernunft gegeben:
144
Er fühlte sich und stund:

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Ein wunderbar Geschöpf, das, wie die dümmsten Thiere,
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Sich Nahrung aus der Erde gräbt,
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Und wie der Engel denkt; halb, wie die dümmsten Thiere,
148
Vergeht, und halb unsterblich lebt:
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Geschaffen, daß es vor dir wandle,
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Dir unterwürfig, aber frey
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Nach weisen Pflichten handle,
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Dich lob' und glücklich sey!

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Er stammelte dein Lob mit dankbarem Gemüthe,
154
So bald er dacht' und froh empfand,
155
Und überall dich sah, dich, o du höchste Güte,
156
Dich am bestrahlten Himmel fand,
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Dich auf der bluhmenvollen Fläche,
158
Dich im gewürzten Myrrhenduft,
159
Im Murmeln kühler Bäche,
160
Dich in der Frühlingsluft!

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Dich loben, Herr, ist Pflicht! Dein Ruhm schallt ungezwungen
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Von meinem dankbarn Saitenspiel.
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Dein Ruhm erschalle laut von aller Menschen Zungen,
164
Bis an der Erde letztes Ziel;
165
In ewig trauernden Gefilden,
166
Und wo die Sonne sanft regiert,
167
Und wo verbrannte Wilden
168
Sie zu dem Schöpfer führt!

(Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024. Ursprünglich aus: Deutsches Textarchiv, CC BY-SA 4.0.)

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Johann Peter Uz
(17201796)

* 03.10.1720 in Ansbach, † 12.05.1796 in Ansbach

männlich, geb. Uz

deutscher Dichter

(Aus: Wikidata.org)