9. Erziehung durch Langeweile

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Ludwig Achim von Arnim: 9. Erziehung durch Langeweile (1806)

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Wo flieh ich hin? wo soll ich bleiben?
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Wo wird die süße Stille seyn?
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Da ich mich könnte schliessen ein,
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Und mich nicht lassen mehr umtreiben
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In Unruh dieser äussern Dinge.
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Ist keine Einsamkeit bereit,
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Darin ich Gott ein Loblied singe,
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Der von Zerstreuung mich befreit?

9
Mein Geist will in die Wüste ziehen,
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Und wünscht sich Taubenflügel an;
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Weil er vor Angst nicht bleiben kann,
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Da wo die Menschen sich bemühen,
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Von Gott noch weiter wegzugehen
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Und niemals bei sich selbst zu seyn;
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Ich kann den Jammer nicht mehr sehen,
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Und bleibe selbst dabei nicht rein.

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Drum fort o Seel! entzeuch geschwinde
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Dich der Gesellschaft dieser Welt!
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Zerreiß, was dich gefangen hält,
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Damit dein Fuß die Ruhe finde,
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Wo kein Geräusche dich verstöret;
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Kein Zuspruch, Sorgen und Verdruß
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Den Umgang dir mit Gott verwehret,
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Der hier oft unterbleiben muß.

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Ich freu mich schon auf eine Kammer,
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Die mich in sich verschliessen wird;
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Und durch den engen Raum abführt,
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Von aller Unruh, Streit und Jammer,
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Den große Städt und Schlösser haben;
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Hier soll nur meine Ruhstätt seyn,
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Da Sicherheit und Fried mich laben,
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Und kein Unfriede bricht herein.

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Nun will ich erst recht singen, beten,
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Und in der Andacht kommen weit;
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Weil ich nicht durch so viel zerstreut,
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Vor Gott mit stillem Geist darf treten.
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Da soll kein Feind mich hindern können,
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Ich geh in Canaan schon ein,
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Mein Paradies soll man es nennen,
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Hier will ich auch begraben seyn.

(Haider, Thomas. A Large Annotated Reference Corpus of New High German Poetry. In: Proceedings of the 2024 Joint International Conference on Computational Linguistics, Language Resources and Evaluation (LREC-COLING 2024), S. 677–683, Torino, Italia. ELRA and ICCL. 2024. Ursprünglich aus: Deutsches Textarchiv, CC BY-SA 4.0.)

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Ludwig Achim von Arnim
(1781–1831)

* 26.01.1781 in Berlin, † 21.01.1831 in Wiepersdorf

männlich, geb. Arnim

deutscher Schriftsteller und wichtiger Vertreter der Heidelberger Romantik

(Aus: Wikidata.org)